Sanathana Sarathi 09/2022

Sri Sathya Sai Baba

Das Leben des Menschen ist wie ein vierstöckiges Gebäude. In diesem Gebäude ist das Erdgeschoss am wichtigsten, denn die drei anderen Stockwerke beruhen auf ihm. Dieses Erdgeschoss ist Brahmacarya. Die Jugend ist der wichtigste Lebensabschnitt. In dieser Zeit sollte der Mensch Eigenschaften wie Reinheit, Gelassenheit und Wahrhaftigkeit entwickeln.

Die wahre Bedeutung von Zölibat (brahmacarya)

Brahmacarya bedeutet nicht nur Zölibat oder Enthaltsamkeit. Die Reinheit von Körper, Geist, Bewusstsein/Psyche (citta) und Handlung (kriyā) ist Brahmacarya. Reinheit von Gedanken, Wort und Tat ist das Kennzeichen. Das menschliche Leben wird in vier Stadien eingeteilt, und zwar Schülerschaft/Zölibat (brahmacarya), Familienleben (grihastha), Rückzug (vānaprastha) und Entsagung (Samnyāsa) – aber Brahmacarya ist der allen Lebensstadien zugrundeliegende Strom. Wahres Brahmacarya besteht darin, das eigene Leben in göttlichen Gedanken, frei von jeder Unreinheit, zu verbringen, und die eigenen Pflichten mit göttlichen Gefühlen zu erfüllen. Brahmacarya ist also das heilige Charakteristikum, das man in allen Lebensstadien bewahren sollte. Dem Begriff Brahmacarya wohnt eine heilige Bedeutung inne. Es bedeutet, dass, welche Gedanken wir auch hegen und welche Handlungen und Unternehmungen wir auch durchführen, sie sollten alle mit dem Bewusstsein des Göttlichen (Brahman) gefüllt sein. Wir sollten unser Leben in dem Bewusstsein führen, dass das Göttliche in jedem Wesen anwesend ist. Aber leider verstehen die Leute nicht das wahre Wesen von Brahmacarya. Sie glauben, irgendwie unverheiratet zu leben sei Brahmacarya.

In diesem heiligen menschlichen Leben bedeutet Brahmacarya, das Leben mit reinen Gedanken und reinen Handlungen zu führen. Also ist die wahre Bedeutung von Brahmacarya nicht auf die körperliche Disziplin der Enthaltsamkeit im physischen Sinn beschränkt, sondern sie umfasst die Erkenntnis des Göttlichen im Menschen und eine Lebensführung, die auf dieser Erkenntnis basiert. Deshalb ist Brahmacarya die Grundlage für das Familienleben (grihastha), das Leben als Einsiedler (vānaprastha) und das Leben als Entsagender (sannyasin).

Die Lebensphase des Menschen als Schüler und Student ist das entscheidende Stadium. Alle anderen Lebensphasen beruhen auf dem Leben als Schüler/Student (vidyārthin). Die Reinheit und Heiligkeit, die ihr in euren Studienjahren entwickelt, wird das Ausmaß der Reinheit in den anderen drei Lebensphasen bestimmen. So ist das Leben als Student die Grundlage für den Rest des Lebens. Deshalb muss für das Erdgeschoss ein starkes Fundament gelegt werden. Wenn das Erdgeschoss schwach ist und wegrutscht wird das gesamte Gebäude zusammenbrechen. Deshalb sollte die gesamte menschliche Existenz geheiligt werden, indem man Brahmacarya bewahrt. Das beinhaltet, das eigene tägliche Leben zu regulieren, indem man überall Reinheit und Heiligkeit verbreitet, indem man Reinheit praktiziert und das allgegenwärtige Göttliche erkennt. Geistige Reinheit, ein reines Bewusstsein, Reinheit des Herzens und des Handelns – diese vierfache Reinheit macht Brahmacarya aus. Was immer ihr vollbringt, tut es in dem Bewusstsein, dass es eine Opfergabe an das Göttliche ist. Das ist die wahre Bedeutung von Brahmacarya.

Hanuman ist in unseren Schriften als ein vorbildlicher Brahmacārin beschrieben worden (jemand der in der Einheit mit dem Göttlichen ist). Weil er ein göttliches Leben führte und in der Freude der Wiederholung von Ramas Namen aufging, ist er als Brahmacārin bekannt. Gottes Name war Hanuman das Liebste. Nach der Tötung Ravanas und der anschließenden Rückkehr nach Ayodhya verteilte Rama eines Tages Geschenke an alle, die ihm im Krieg gegen Ravana geholfen hatten. Sita bemerkte, dass Rama jeden außer Hanuman mit einem Geschenk belohnte. Sie war verwundert und es schmerzte sie, dass Hanuman, der einen so ungeheuren Dienst erwiesen hatte, kein einziges Geschenk von Rama erhielt. Sogleich nahm sie eine Perlenkette von ihrem Nacken und überreichte sie Hanuman. Hanuman begann jede Perle zu zerbeißen um zu hören, ob Ramas Name aus ihr hervorging. Er warf eine nach der anderen weg. Sita war aufgrund von Hanumans Verhalten verärgert und verunsichert und sie verlangte eine Erklärung von ihm. Hanuman sagte: „Mutter, ich versuchte herauszufinden ob mein Herr Rama in diesen Perlen ist. Mir ist nichts wichtig, es sei denn es trägt Rama in sich. Da ich in keiner dieser Perlen Ramas Namen finden konnte warf ich sie weg.“

Hanuman war ganz von Ramas Namen erfüllt. Sein ganzes Wesen vibrierte mit Ramas Namen. Jede Pore seines Körpers pulsierte mit Ramas Namen. Der Name des Herrn muss mit aller Liebe des Herzens rezitiert werden. Sein Name sollte nicht, wie manche Leute es tun, mechanisch wiederholt werden. Der Name des Herrn sollte spontan dem Herzen entspringen.

Der Mensch sollte sein wahres Wesen erkennen

Nahrung ist das erste Erfordernis des Lebens. Ohne Nahrung kann man nicht leben. Deshalb ist das Leben als Annamaya, aus Nahrung bestehend, beschrieben worden. Aber der Mensch gibt sich nicht damit zufrieden, nur von Nahrung zu leben. Der Geist (mind) ist nicht zufriedengestellt, sogar wenn der Magen gefüllt ist. Obwohl Nahrung wesentlich für den Körper ist, sehnt der Geist sich nach Glückseligkeit. Das Leben kann erst dann Erfüllung finden, wenn Glückseligkeit erfahren wird. Deshalb kann sich der Mensch nicht damit zufriedengeben, bloß lebendig zu sein. Er muss aktiv und immer in Bewegung sein. Bei diesem Vorgang muss er sich einige Fragen stellen: „Warum bin ich ruhelos? Warum bin ich aktiv? Wofür beteilige ich mich an Handlungen? Wozu führe ich sie aus? Wie vollbringe ich sie? Welche Heiligkeit messe ich ihnen bei?“ Nur wenn man diese Aspekte erforscht, wird man ihren wahren Zweck und ihre wahre Bedeutung erkennen. Wenn man die richtigen Antworten auf diese Fragen findet, werden alle Handlungen heilig werden. Man muss diese Erforschung auf rechte Weise durchführen. Der Mensch sollte sich fragen, ob die Nachforschung fruchtbar oder vergeblich ist. Wenn er erst einmal zu dem Schluss kommt, dass eine bestimmte Handlung richtig ist, sollte er sie mit Aufrichtigkeit durchführen. Brahmacarya ist das erste Erfordernis, um reine Gedanken zu entwickeln und reine Handlungen durchzuführen.

Darüber hinaus ist es beim Praktizieren von Brahmacarya notwendig, heilige Gedanken zu kultivieren. Das Herz sollte mit heiligen Gefühlen gefüllt werden. Ihr müsst aus eurem Geist jeden Gedanken entfernen, jemandem Schaden zuzufügen. Nur dann wird das Leben, das mit Nahrung (annamaya) beginnt, in Glückseligkeit (ānandamaya) kulminieren.

Der Mensch sollte nicht glauben Glück bestünde darin, ein Haus voller Kinder und alle Vorkehrungen für ein bequemes Leben zu haben; noch kann Glück durch Reichtum, Macht oder Position erreicht werden. Glück ist das Ergebnis unserer Handlungen und Gedanken. Wenn unsere Gedanken rein sind, werden auch unsere Handlungen rein sein. Wenn die Handlungen rein sind, wird das Leben selbst heilig werden.

Der Hauptgrund für den mangelnden Frieden in der heutigen Welt besteht darin, dass die Gedanken und das Verhalten der Leute auf Abwege geraten sind. Der erste Schritt besteht deshalb darin, eure Gedanken zu läutern. Ihr braucht euch nicht über die Vergangenheit oder die Zukunft zu sorgen. Konzentriert eure Aufmerksamkeit auf eure Pflicht in der Gegenwart. Widmet all eure Energien der Erfüllung dieser Aufgabe. Auf dieser Grundlage führten unsere Vorfahren ihr Leben, in Anlehnung an die Anweisungen der Veden und Schriften. Heutzutage besteht eine weite Kluft zwischen dem Leben unserer Vorfahren und der jetzt vorherrschenden Lebensweise.

Zugegeben, Nahrung ist wesentlich. Aber heutzutage herrscht Mangel an Nahrung. Was ist die Ursache für diesen Mangel? Es ist eine Tatsache, dass die Menschen die Sitte der zeremoniellen Opferhandlungen (yagna, yāga), wie sie in der Vergangenheit durchgeführt wurden, aufgegeben haben. Yajna bedeutet nicht nur, vor dem Feuer zu sitzen und ein paar Mantras von sich zu geben. Yajna bedeutet in Wirklichkeit Opfergeist oder Entsagung (tyāga). Heutzutage fehlt diese Geisteshaltung völlig. Stattdessen ist der Wunsch nach weltlichen Freuden (bhoga) ins Grenzenlose gewachsen. Aufgrund dessen hat sich eine Faszination für äußere Dinge entwickelt, mit dem Ergebnis, dass der Mensch sein wahres Wesen vergessen hat und deshalb zahlreichen Leiden zum Opfer fällt.

Nur Gott kann ewige Glückseligkeit verleihen

Das Göttliche ist im Menschen in all seiner Reinheit immer gegenwärtig. Aber der Mensch ist unfähig das zu erkennen, weil er – gleich einer Biene – an vergängliche Freuden gebunden ist. Die Hummel hat einen so starken Stachel, dass sie ein Loch durch einen starken Bambus oder sogar in den menschlichen Körper stechen kann. Aber sie ist unfähig, sich aus den zarten Blättern des Lotos zu lösen, weil sie sich im Genuss des Honigs der Lotosblüte verliert und ihre eigene wahre Kraft vergisst. So ist sich der Mensch heutzutage seiner eigenen wahren göttlichen Natur nicht bewusst, er vergisst das Göttliche, das in ihm und in allem was er erblickt gegenwärtig ist, weil er sich in weltlichen Angelegenheiten verliert und berauscht ist vom weltlichen Vergnügen. Er ist in die Herrschaft über die äußere Welt involviert und vergisst dabei seine innewohnende Kapazität.Der Mensch sollte sich heute von diesen weltlichen Verwicklungen entfernen und Vertrauen in sein wahres Selbst entwickeln. Welchen Schwierigkeiten er auch begegnet, welche Hindernisse sich ihm auch in den Weg stellen, er sollte sie als vorübergehende Wolken betrachten. Nichts in dieser Welt ist dauerhaft. Nur eines ist dauerhaft und unveränderlich: Es ist das Göttliche. Verankert das Göttliche unerschütterlich in eurem Herzen und betrachtet es als die einzige dauerhafte Wesenheit, die andauernde Glückseligkeit gewähren kann. Alle anderen, ob Verwandte, Freunde oder Besitz, können euch keine dauerhafte Glückseligkeit geben.

Einer der Studenten erzählte, wie in einem Jahr seine beiden Eltern starben und acht junge Kinder zurückließen, von denen er der älteste war. In dieser tragischen Situation konnte nur Swami den hinterbliebenen Kindern Trost und Mut spenden. Von da an bis heute hat Swami sich um die Kinder, die Swami als ihre Sai Mutter und ihren Sai Vater ansahen, gekümmert. Kein Freund oder Verwandter hätten sich auf diese Weise um sie kümmern können. Das Göttliche gibt niemanden auf, der Vertrauen in das Göttliche hat. Schwierigkeiten mögen sich eine nach der anderen auftürmen, aber wenn die göttliche Gnade vorhanden ist, werden sie wie Schnee hinwegschmelzen. Unerschütterliches Vertrauen in Gott ist erforderlich. Stärkt euren Glauben an das Göttliche.

Ein anderer Devotee, ein amerikanischer Geschäftsmann, war einmal mit solchen Schwierigkeiten konfrontiert, dass er sein Geschäft aufgeben wollte. Aber Swami gab ihm den Rat es nicht zu tun. Er hatte aufgrund seiner früheren Erfahrungen mit Swami volles Vertrauen in ihn und führte sein Geschäft weiter. Es gelang ihm, seine Schwierigkeiten zu überwinden. Niemand, der festes Vertrauen in Gott hatte, hat in dieser Welt gelitten. Viele erfuhren Leid aufgrund von mangelndem Vertrauen.

Ihr glaubt heutzutage an das, was ihr in Filmen seht oder in Zeitungen oder Romanen lest. Ihr glaubt an das, was ihr in einem Schauspiel seht oder was im Almanach geschrieben steht. Aber ihr habt keinen Glauben an die göttlichen Erklärungen der Veden: Das bist du – tat tvam asi -; dieses Selbst ist Gott (ayam ātmā brahma); Ich bin Brahman – aham brahmāsmi; Brahman ist das göttliche Bewusstsein (prajnānam Brahma). Die Leute haben keinen Glauben an diese göttlichen Erklärungen, lassen sich aber leicht von den trügerischen Erklärungen weltlicher Menschen in die Irre führen. Das ist heute die beklagenswerte und entartete Misere des Menschen. Die Ursache liegt darin, dass der Mensch seinem Glauben an Gott abgeschworen hat. Er ist dem Glauben an weltliche Dinge zum Opfer gefallen.

Das erste Erfordernis besteht darin, dass der Mensch Glauben an Gott entwickelt. Das ist besonders für die Jugend wichtig. Welche Zukunftspläne ihr auch schmiedet, sie sollten auf Glauben an Gott basieren. Sie sollten rechtschaffen sein. Dann werdet ihr Erfolg erreichen. Jugend ist die ideale Zeit um Glauben an Gott zu nähren. Singt den Gottesnamen mit Liebe im Herzen. Wiederholt den göttlichen Namen nicht mechanisch. Der Gottesname sollte spontan aus dem Herzen aufsteigen.

– Bhagavans Ansprache in Sai Sruthi, Kodaikanal, am 23. April 1988.

Wie kannst du an Gott denken, wenn du ein hinfälliger alter Mann wirst? Ihr solltet Gott die duftenden Blumen eures Geistes und eures Herzens mit vollem Glauben in jungen Jahren darbringen, wenn euer Körper stark ist und eure Sinnesorgane kräftig sind. Dies ist das wahre Naivedyam (Speiseopfer), das ihr Gott darbringen müsst. Aber die Menschen von heute bringen solche Opfergaben nicht dar. Wenn ihre Sinne schwach werden, nachdem sie sich allen Arten von Sinnesfreuden hingegeben haben, bringen sie sie Gott dar, als ob sie Essensreste opfern würden.

Sri Sathya Sai Baba

Quelle: Sanathana Sarathi September 2022

© Sri Sathya Sai Sadhana Trust Sadhana Trust – Publications Division, Prasanthi Nilayam

Stärkt euer Vertrauen in das Göttliche