Sanathana Sarathi 10/2021

Dharmaraja, der tief in Gedanken versunken war und die Ratschläge, die Hilfe, die Gnade, die Liebe und das Mitgefühl rekapitulierte, die sie von Krishna erhalten hatten, hob plötzlich den Kopf und fragte: „Arjuna, was hast du gesagt? Welches Unglück ereilte dich auf dem Weg? Erzähle es uns in allen Einzelheiten, lieber Bruder!”, dabei hob er Arjunas Kinn langsam an. Arjuna sah seinem Bruder in die Augen und sagte: „Bruder, all meine Fähigkeiten und Errungenschaften sind mit dem Herrn dahingegangen. Ich bin jetzt ohne Kräfte, unfähig zu irgendeiner Leistung, schwächer als der Schwächste, ja leblos.

Bruder, hör zu. Ich Unglücklicher hatte nicht die Chance, bei Vasudeva zu sein, als er zu seiner ewigen Heimstatt aufbrach, obwohl er zu dieser Zeit in Dvaraka war. Ich hatte nicht genug Verdienste erworben, um diese Gelegenheit zu bekommen. Ich konnte mich nicht an dem Anblick (darshan) unseres göttlichen Vaters erfreuen, bevor er abreiste. Später gab mir der Wagenlenker des Herrn, Daruka, die Botschaft, die er für mich bestimmt hatte, als er abreiste. Er schrieb diese Botschaft mit seiner eigenen Hand.”

Mit diesen Worten nahm Arjuna aus den Falten seines Gewandes den Brief, den er für wertvoller hielt als sein Leben, denn er war von Krishnas eigener Hand geschrieben. Er gab ihn Dharmaraja, der ihn ehrfurchtsvoll, mit Eifer und Sorge entgegennahm. Er drückte ihn an seine Augen, die voller Tränen waren und er versuchte, die Schrift durch den Tränenschleier hindurch zu entziffern, aber ohne Erfolg.

Die Botschaft begann: “Arjuna! Dies ist mein Befehl; führe ihn ohne Zögern und in vollem Umfang aus. Führe diese Aufgabe mit Mut und Ernsthaftigkeit aus.” Nach dieser ausdrücklichen Aufforderung hatte Krishna die Aufgabe mit folgenden Worten präzisiert: “Ich habe die Mission, derentwegen ich gekommen bin, erfüllt. Ich werde in dieser Welt nicht länger körperlich anwesend sein. Ich reise ab. In sieben Tagen von heute an wird Dvaraka im Meer versinken; das Meer wird alles verschlingen, außer dem Haus, das ich bewohnt habe. Deshalb musst du die Königinnen und die anderen Frauen, die überlebt haben, zusammen mit den Kindern und Säuglingen und den alten und gebrechlichen Menschen in die Stadt Indraprastha bringen. Ich gehe und übertrage dir die Verantwortung für die Frauen und die anderen überlebenden Yadavas. Kümmere dich um sie, wie du dich um dein eigenes Leben kümmerst; sorge für sie in Indraprastha und beschütze sie vor Gefahren.” Die Nachschrift lautete: „So schreibt Gopala bei der Abreise in seine Heimat.”

Dharmaraja hatte alles gelesen. Bhima, Arjuna, Nakula und Sahadeva vergossen reichlich Tränen und hockten versteinert da, ohne auf ihre Umgebung zu achten. Arjuna sagte: „Bruder, ich hatte keine Lust mehr, auch nur einen Augenblick ohne den Herrn in unserer Mitte zu leben, also beschloss ich, mich in dem Meer zu ertränken, das Dvaraka verschlingen sollte. Ich hatte vor, meinen eigenen Kopf mit diesem Bogen zu spalten und zu sterben. Doch dieser Befehl zwang mich, davon abzulassen. Der Befehl von ihm, der das Universum ordnet, fesselte mich an diese Erde. Ich hatte keine Zeit, irgendetwas zu planen; alles musste schnell gehen.

Ich ließ also die letzten Riten für die Toten vollziehen, wie es in der Schrift steht. Dann, in großer Sorge, dass das Meer Dvaraka verschlingen könnte, bevor die Frauen, Kinder und Alten in Sicherheit waren, beeilte ich mich, sie zu holen, und wir machten uns nach Indraprastha auf, wie es Krishna befohlen hatte. Wir verließen Dvaraka, ohne es verlassen zu wollen. Es gelang uns, die Grenzen von Panchanada (Punjab) zu erreichen. Unsere Herzen waren schwer, da Krishna uns verlassen hatte, aber ich wurde von der Notwendigkeit vorwärts gedrängt, dem göttlichen Befehl zu gehorchen und die Last dieser Menschen gemäß diesem Befehl zu tragen.

Eines Tages kamen wir, gerade als die Sonne unterging, an einen Fluss. Zu dieser späten Stunde wagten wir es nicht, den Hochwasser führenden Fluss zu überqueren, der uns am Weiterkommen hinderte. Ich beschloss, die Nacht am Ufer des Flusses zu verbringen. Wir sammelten die Juwelen und Wertsachen aller Frauen ein und verwahrten sie an einer sicheren Stelle. Die Königinnen stiegen aus den Sänften aus, und sie und die Mägde begaben sich zur Ruhe. Ich ging zum Fluss um die Abendrituale zu verrichten, die Traurigkeit der Trennung von Krishna machte jeden Schritt zur Qual. Inzwischen war es stockdunkel geworden, und bald hörten wir barbarisches Kriegsgeschrei aus der Dunkelheit. Ich spähte in die Nacht und entdeckte eine Horde wilder Nomaden, die mit Stöcken, Speeren und Dolchen auf uns zustürmten.Sie raubten die Juwelen und Wertgegenstände und begannen, die Frauen an Händen und Füßen zu fesseln und wegzuschleppen.

Ich schrie sie an und drohte ihnen mit schlimmen Konsequenzen. ‘Warum fallt ihr wie die Motten ins Feuer? Warum seid ihr wie Fische, die dem Tod begegnen, weil sie nach dem Wurm des Anglers lechzen”, fragte ich sie. ‘Bei diesem vergeblichen Versuch, Beute zu machen, werdet ihr den Tod finden’, warnte ich sie. ‚Ich nehme an, ihr wisst nicht, wer ich bin. Habt ihr noch nie von dem gefürchteten Bogenschützen, Pandus Sohn Arjuna, gehört, der die drei Welteroberer Drona, Bhishma und Karna besiegte? Ich werde euch alle diesem Bogen, meinem unvergleichliche Gandiva ins Reich des Todes schicken. Flieht, bevor ihr ins Verderben stürzt, oder füttert diesen hungrigen Bogen mit eurem Leben.’

“Doch sie verfolgten ihr schändliches Vorhaben unbeirrt weiter. Ihr grausamer Angriff ließ nicht nach; sie fielen über unser Lager her und wagten es sogar, mich anzugreifen. Ich hielt mich in Bereitschaft und legte göttliche Pfeile auf, um sie alle auszulöschen. Aber ach, etwas Schreckliches geschah, ich kann nicht erklären, wie und warum! Ich konnte mich nicht an eine einzige heilige Formel erinnern, die das Geschoss mit Macht füllen! Ich vergaß den Vorgang der Beschwörung und den des Widerrufes. Ich war hilflos.

“Vor meinen Augen schleppten die Räuber die Königinnen, Mägde und andere weg. Sie schrien in ihrer Todesangst und riefen meinen Namen: ‘Arjuna! Arjuna! Rette uns; rette uns; hörst du uns nicht? Warum hörst du unsere Schreie nicht? Überlässt du uns diesen Räubern? Hätten wir gewusst, dass dies unser Schicksal sein würde, wären wir lieber im Meer gestorben, wie unsere Stadt Dvaraka.’ Ich hörte alles in schrecklichem Schmerz, ich sah alles. Sie schrien und flohen in alle in alle Richtungen – Frauen, Kinder, Alte und Kranke. Wie ein Löwe, dem man die Zähne ausgerissen und die Krallen beschnitten hatte, konnte ich den Schurken nichts anhaben. Ich konnte meinen Bogen nicht spannen. Ich griff sie an mit den Pfeilen in meiner Faust. Sehr bald war auch der Vorrat an Pfeilen erschöpft. Mein Herz brannte vor Wut und Scham. Ich ekelte mich vor meiner eigenen Schwäche. Ich fühlte mich, als wäre ich tot. Alle meine Bemühungen waren vergeblich. Das gesegnete ‘unerschöpfliche’ Behälter von Pfeilen hatte mich im Stich gelassen, nachdem Vasudeva gegangen war.

“Meine Kraft und mein Können waren mit Krishna gegangen, als er von hier fortging. Oder wie konnte sonst dieses Unglück geschehen, dass ich hilfloser Zeuge dieser Entführung von Frauen und Kindern wurde, die meiner Obhut anvertraut waren? Auf der einen Seite quälte mich die Trennung von Krishna und auf der anderen Seite meine Unfähigkeit, seine Befehle auszuführen. Wie ein starker Wind, der das Feuer anfacht, fachte dieses Unglück die Qualen meines Herzens noch an. Und die Königinnen – diejenigen, die in goldenen Palästen in größter Pracht gelebt hatten! Wenn ich an ihr Schicksal in den Händen dieser Wilden denke, wird mein Herz zu Asche. Oh Herr! Oh Krishna! Hast Du uns in der Vergangenheit deswegen aus der Gefahr gerettet hast – um uns nun diese drastische Strafe aufzuerlegen?”

Arjuna weinte laut und schlug in seiner Verzweiflung den Kopf gegen die Wand, und der Raum war von Kummer erfüllt. Alle zitterten vor Verzweiflung. Der härteste Fels wäre vor Mitleid geschmolzen. Ströme heißer Tränen flossen aus Bhimas Augen. Dharmaraja wurde von Angst überwältigt, als er ihn so weinen sah. Er ging zu Bhima und sprach liebevoll und zärtlich zu ihm, um ihn zu trösten. Nach einiger Zeit kam Bhima wieder zu sich, fiel Dharmaraja zu Füßen und sagte: “Bruder! Ich will nicht mehr leben. Gib mir die Erlaubnis. Ich will in den Wald gehen und mich mit dem Namen Krishnas auf den Lippen opfern und nach Hause finden. Ohne Krishna ist diese Welt die Hölle für mich.” Er wischte sich die heißen Tränen mit dem Tuch, das er in der Hand hielt, ab.

Sahadeva, der so lange geschwiegen hatte, wandte sich an Bhima und sagte: “Beruhige dich, rege dich nicht auf. Erinnere dich an die Antwort, die Krishna damals Dhritharashtra vor der ganzen Versammlung gab, als er Frieden zwischen uns stiften wollte?”

Quelle: Sanathana Sarathi October 2021

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Bhagavatha Vahini, 11. Kapitel – Der Kummer der Pandavas