Sanathana Sarathi 1/2023

Die spitzen Worte des Vaters fügten dem zarten Herzen seines Sohnes Shringi großen Schmerz zu. Sie trafen ihn wie Schwerthiebe oder Hammerschläge. Der arme Junge konnte sie nicht länger ertragen. Er fiel zu Boden, umklammerte die Füße seines Vaters und jammerte: „Vater, verzeih mir. Mich packte der Zorn darüber, dass der König selbst sich so unverschämt, so respektlos, so unmenschlich benahm. Ich konnte meinen Unmut über die Beleidigung, die man dir angetan hat, nicht unterdrücken. Es ist doch nicht richtig, dass ein König sich so unangemessen verhält, nachdem er eine Einsiedelei betreten hat, nicht wahr?“

Als der Weise Shamika seine Notlage sah, nahm er ihn an seine Seite und sagte: „Sohn, dem Zwang des Augenblicks kann man nicht entgehen. Das Gebot der Vernunft wird von den Menschen aufgrund dieses Zwanges oft beiseite geschoben. Der Sog des Schicksals zerstört die Zügel der Vernunft. Die Kraft des Augenblicks steht dem Menschen mit all ihrer Macht gegenüber, und er kann nicht anders, als sich zu beugen. Dieser König ist ein überzeugter Theist, ein tiefgläubiger Mensch. Er hat sich spirituelle Größe erworben und ist in moralischem Verhalten gefestigt. Er ist der Herr über alle Regionen. Sein Ruhm durchdringt alle drei Welten. Tausende von treuen Männern stehen ihm stets zu Diensten. Wenn er seinen Wohnsitz verlässt, um auszufahren, wird er von vielen Wächtern begleitet, die mit gefalteten Händen und auf ihn gerichtetem Blick darauf warten, selbst den kleinsten Befehl zu seiner Zufriedenheit auszuführen, damit sie seine Gunst gewinnen. Sobald er ein Königreich betritt, wird er von dem Herrscher mit allen Ehren empfangen und die größte Gastfreundschaft und ehrerbietige Huldigungen werden ihm zuteil. Ein Mensch, der an diese reiche Routine gewöhnt ist, ist natürlich schockiert, wenn ihm hier kein Zeichen des Willkommens gezeigt wird. Er wurde weder erkannt noch respektiert. Die Missachtung ging sogar so weit, dass er nicht einmal einen Becher Wasser bekam, um seinen Durst zu stillen. Hunger und Demütigung quälten ihn, denn er erhielt keine Antwort, obwohl er viele Male rief. Die Qualen und der Ärger waren unerträglich und dies verleitete ihn zu dieser ungebührlichen Tat. Natürlich ist es ein Unrecht, aber durch deine harte Reaktion auf dieses kleine Vergehen hast du der gesamten Gemeinschaft der Asketen und Einsiedler irreparablen Schaden zugefügt. Ach! Was für ein schreckliches Unglück hast du heraufbeschworen!“

Der alte Einsiedler schloss die Augen und saß eine Weile schweigend da und suchte nach einer Möglichkeit, um den König von dem Fluch zu befreien. Doch er fand keine und erkannte, dass nur Gott derartiges in Ordnung bringen kann, da er allmächtig und allwissend ist, und betete daher von ganzem Herzen. „Oh, Zuflucht aller Welten! Dieser unreife kleine Junge, der nicht weiß, was richtig und falsch ist, was seine Pflicht ist und was nicht, hat aus Unwissenheit diesen großen Fehler begangen, der dem König schadet. Verzeihe diesem Jungen oder bestrafe ihn, aber fördere das Wohl des Königs.“

Der Einsiedler öffnete die Augen. Er sah die Asketen und die jungen Kameraden seines Sohnes, die um ihn herum standen. Traurig sagte er zu ihnen: „Habt ihr das Unrecht bemerkt, das mein Sohn begangen hat? Es ist nicht richtig, dass wir Einsiedler den König beleidigen und verletzen, ihn, der der Hüter und Führer der Menschheit ist. Deshalb bitte ich euch alle, zu Gott zu beten, dass dem König kein Leid geschehe und dass ihm nur Segensreiches widerfahren möge. Als der Weise Shamika sie so anwies, erhob sich ein alter Mönch, ein wahres Ebenbild des Friedens und der Entsagung und sagte: „Große Seele! Du überschüttest diesen König mit so viel Gnade. Derjenige, der diesen Fluch ausgesprochen hat, ist dein eigener Sohn. Sicher sind deine spirituellen Fähigkeiten viel größer als die deines Sohnes, und du kannst durch sie alles erreichen. Warum bist du dann so besorgt über den Fluch, mit dem dieser Junge den König belegte? Du kannst ihn doch sicher aufheben, oder nicht?“ Daraufhin riefen alle anderen, die Älteren und die Jüngeren, aus: „Wie wahr, erhöre unsere Gebete und verzeihe diesem Jungen. Sorge für das Wohlergehen des Königs und bewahre ihn vor Schaden.“

Der Weise Shamika lächelte. Er schloss die Augen und mit dem inneren Auge des Yogi sah er die Vergangenheit und die Zukunft des Königs, und prüfte, ob seine Gegenwart durch seine Vergangenheit oder seine Zukunft bedingt war. Er stellte fest, dass Parikshit den Giftbiss der Kobra Takshaka erleiden musste und dass dies sein Schicksal war. Er erkannte, dass der Versuch, ihn vor diesem Ende zu bewahren, gegen das Gebot des Göttlichen wäre und dass das Fehlverhalten des Königs und die zornige Reaktion seines Sohnes die Folgen dieses zwingenden Einflusses waren. Er kam zu dem Schluss, dass nur Gott, der Urheber aller Entschlüsse und Errungenschaften, die Ereignisse verändern kann und dass jedes Eingreifen seinerseits nur seinen Egoismus beweisen würde.

Er wusste, dass der Egoismus der Todfeind der Einsiedler ist, aber dennoch sammelte er nicht alle seine unbestrittenen Kräfte gegen ihn, um ihn vollständig zu vernichten. Er beschloss, dem unglücklichen König des Reiches so viel wie möglich zu helfen. Er öffnete die Augen und schaute nach allen vier Seiten, um aus der Versammlung einen klugen Schüler auszuwählen. Schließlich rief er einen Schüler zu sich und sagte: „Du musst sofort nach Hastinapur reisen und gleich wieder zurückkehren. Bereite dich auf die Reise vor und komm dann wieder zu mir.“ Der Schüler antwortete: „Ich bin jederzeit bereit, deinem Befehl zu gehorchen. Wozu brauche ich Vorbereitungen? Ich bin immer bereit. Ich kann mich in diesem Augenblick auf den Weg machen. Sag mir, was ich dort zu tun habe.“ Mit diesen Worten fiel er ihm zu Füßen, um ihm seine Ehrerbietung zu zeigen. Der Weise erhob sich von seinem Sitz und führte den Schüler in die innere Wohnung. Dort erzählte er ihm genau, was er dem König mitteilen sollte. Dann fiel der Schüler dem Meister zu Füßen und machte sich auf den Weg in die Hauptstadt.

In der Zwischenzeit war der König in seinem Palast angekommen, hatte ein wenig geruht und erwachte mit der Erkenntnis, dass er in der Einsiedelei ein ungeheuerliches Unrecht begangen hatte. „Ach, in welche Abgründe der Verdorbenheit ist mein Geist gefallen! Dass ichdiesen Asketen beleidigt habe, ist in der Tat eine abscheuliche Sünde.“ Er klagte: „Wie soll ich dieses Verbrechen wiedergutmachen? Soll ich zu dieser Einsiedelei gehen und um Verzeihung bitten? Oder soll ich meinen Kopf anbieten, um die entsprechende Strafe zu empfangen? Was genau ist jetzt meine Pflicht?“ Er rang mit sich selbst um eine Antwort.

In diesem Moment sah er, dass ein Wächter an die Tür gekommen war und mit verschränkten Armen stumm dastand. Er fragte ihn, warum er gekommen sei. Der Mann sagte: „Ein Schüler aus einer Einsiedelei ist gekommen und bittet um Audienz. Er sagt, er sei vom Weisen Shamika gesandt worden und seine Botschaft sei sehr dringend und wichtig. Er ist in großer Eile. Ich warte auf Euren königlichen Befehl.“

Als er diese Worte hörte, schien sich das Bett aus Jasminblüten, auf dem er lag, in ein Bett aus Schlangen verwandelt zu haben, die mit feurigen Zungen um ihn zischten und sich um ihn wanden. Er rief den Wächter zu sich und stellte Fragen über Fragen über den jungen Mann, der aus der Einsiedelei gekommen war: Wie ist er? Wirkt er traurig oder zornig? Oder ist er freudig und voll Gleichmut?

Der Wächter antwortete: „Oh König! Der Schüler, der gekommen ist und um Eure Audienz bittet, ist ganz ruhig und friedlich. Er wiederholt ständig die Worte: ‚Sieg dem König‘, ‚Sieg unserem Herrscher‘. Ich sehe keine Spur von Zorn oder Erregung auf seinem Gesicht.“ Dies beruhigte den König etwas. Nun wollte er wissen, welche Antwort man dem jungen Schüler auf seine Fragen gegeben hatte. Der Wächter sagte: „Wir sagten ihm, der König sei im Wald gewesen. Er ist erst jetzt zurückgekehrt und ruht sich etwas aus. Bitte warte noch kurze Zeit. Sobald er sich ausgeruht hat, werden wir ihn benachrichtigen.“ Der König fragte nun: „Was hat er darauf geantwortet?“ Der Wächter sagte: „Herr, der junge Mann war sehr darauf bedacht, Euch so schnell wie möglich zu sehen. Er sagte, er habe eine dringende Nachricht zu übermitteln. Er sagte, sein Herr würde auf seine Rückkehr warten und die Minuten zählen. Er sagte, je eher er Euch sähe, desto besser. Er murmelte die ganze Zeit vor sich hin: „Möge es dem König gut gehen“, „Mögen Sicherheit und Wohlstand über ihn kommen“. Wir boten ihm einen Platz an und luden ihn ein, sich zu setzen, aber er zog es vor, an der Tür zu stehen. Dort zählt er nun die Minuten.“

In den Augen des Königs standen Tränen der Freude. Er wischte sie ab und eilte zum Eingang, ohne königliche Gewänder oder die Zeichen seiner Königswürde anzulegen, ja, ohne sich auch nur um Sandalen oder ein Obergewand zu kümmern. Er warf sich dem Boten des Einsiedlers zu Füßen, ergriff seine beiden Hände und führte ihn in die inneren Gemächer, wo er ihn auf einen hohen Sitz setzte und selbst auf dem Boden davor Platz nahm. Er bat ihn, ihm den Grund für seinen Besuch mitzuteilen.

Der Schüler sagte: „Oh König! Mein Meister, der Weise Shamika, sendet Euch seinen besonderen Segen. Er hat mich beauftragt, Euch einige besondere Dinge mitzuteilen“, und brach in Tränen aus. Als der König dies sah, rief er aus: „Nun, berichte schnell. Wenn ich etwas tun soll, dann sag es mir gleich. Ich bin bereit, mein Leben für die Erfüllung meiner Pflichten hinzugeben. Oder ist mein Königreich in Gefahr? Muss ich irgendeine Maßnahme ergreifen? Ich bin bereit, alles zu opfern, um es zu retten.“

Der junge Bote antwortete: „Oh König! Dem Reich droht keine Gefahr und auch nicht den Einsiedlern. Nichts wird sie je ängstigen. Ihr seid derjenige, dem Gefahr droht, den das Unheil ereilen wird.“ Als er diese Warnung hörte, erklärte der König jubelnd: „Ich bin in der Tat gesegnet. Wenn meine Untertanen und die Einsiedler, die sich der Askese verschrieben haben, in Sicherheit sind, kümmert es mich nicht im Geringsten was mit mir geschieht. Ich atme ein und ich atme aus, damit ich für Frieden und Wohlstand für beide sorgen kann.“ Nach einiger Zeit beruhigte sich der König und fragte den Schüler: „Nun sag mir, was dein Meister mich wissen lassen wollte.“ Der Schüler antwortete: „König! Mein Meister ist sehr besorgt über ein schweres Unrecht, das aus reiner Unwissenheit begangen worden ist. Das ist der Grund, warum er mich zu Euch geschickt hat.“

Als Parikshit dies hörte, war er sehr beunruhigt und fragte: „Von welchem Unrecht sprichst du? Wer hat dieses Unrecht begangen? Sag es mir, sag mir alles“, flehte er.

Quelle: Sanathana Sarathi January 2023

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Bhagavatha Vahini, Kapitel 25 – Das Mitgefühl des Weisen