Sanathana Sarathi 11/2022

Parikshit lauschte des Weisen Vyasas Beschreibung der tiefen Hingabe und des festen Glaubens der Pandavas und war begeistert, als er von der grenzenlosen Gnade Krishnas hörte, die ihnen gewährt wurde. Der König war so in Freude versunken, dass er kaum merkte, ob es Tag oder Nacht war! Plötzlich wurde er durch das süße Zwitschern der Vögel und das laute Krähen des Hahns geweckt. Er hörte die Lieder, mit denen seine Untertanen täglich die Götter im Morgengrauen begrüßten. Die Tempelglocken läuteten rund um den Palast.

Auch Vyasa erkannte, dass es der Beginn eines neuen Tages war. Er sagte: „Mein Sohn! Ich muss jetzt gehen“, und er nahm den Wasserkrug, den er auf der Reise stets bei sich trug, stand auf und segnete den König, der ihm in großer Trauer zu Füßen fiel. „Ach, die Morgendämmerung ist so früh angebrochen! Ich habe die Größe und den Ruhm meiner Großväter noch nicht ganz begriffen. Ich muss doch noch die Tiefe ihrer Hingabe und ihres Pflichtgefühls ergründen“, klagte er.

Immer wieder überdachte er die Begebenheiten, von denen er gehört hatte und kostete ihre Einzigartigkeit aus. Dies erfüllte ihn so mit Begeisterung, dass er sich den Angelegenheiten des Königreichs noch nicht wieder zuwenden konnte. Vielmehr vermied er es, sich mit ihnen zu befassen, und suchte stattdessen das Alleinsein. So beschloss er, in den Wald zu gehen, um zu jagen. Er ordnete an, dass eine Reise in den Dschungel vorbereitet werden sollte.

Schon bald brachten die Männer die Nachricht an der Tür, dass alles bereit sei und die Jäger und Diener in voller Stärke versammelt seien. Schweren Herzens schleppte er seinen Körper zum Wagen und setzte sich hinein. Die Dienerschaft fuhr mit allem Nötigen vor und hinter dem königlichen Wagen her, wie es ihre Gewohnheit war. Der König hatte aus irgendeinem Grund das Gefühl, dass es nicht nötig sei, dass so viele ihn begleiteten, und schickte daher einige zurück. Beim Weiterfahren sahen sie einige Herden umherziehen. Dieser Anblick ließ den König munter werden. Er stieg aus dem Wagen, hielt den Bogen bereit und pirschte sich mit ein paar Männern an die Tiere heran. Die Herden zerstreuten sich voll Furcht, und die Jäger nahmen die Verfolgung auf. Der König hatte eine Gruppe fliehender Tiere im Visier und verfolgte sie, ohne zu bemerken, dass er allein war, abgeschnitten von seinen Begleitern, die andere Wege eingeschlagen hatten.

Er hatte eine große Strecke zurückgelegt und konnte kein einziges Tier erbeuten; ein heftiger Durst begann ihn zu quälen. Er war bis zum Äußersten erschöpft. Verzweifelt suchte er nach Wasser. Glücklicherweise entdeckte er eine Einsiedelei, eine mit Gras gedeckte Hütte. Voller Erwartung eilte er darauf zu, doch es war niemand zu sehen. Der Platz schien leer zu sein. Er rief verzweifelt, so laut er konnte. Mit seiner ausgetrockneten Kehle rief er klagend: „Durst, Durst.“ Doch aus der Hütte kam keine Antwort. Als er eintrat, fand er darin einen Asketen, tief in Meditation versunken. Er ging zu ihm und sprach ihn mitleiderregend an: „Herr, Herr.“ Aber der Asket war so tief in seine Meditation versunken, dass er keine Antwort gab.

Daraufhin wurde der König von Groll und heftigem Zorn erfasst. Obwohl er eine Einsiedelei gefunden hatte und den Einsiedler sah, war er immer noch hilflos, hungrig und durstig. Das verletzte seinen Stolz, denn er war der Herrscher des Reiches, und der Einsiedler hatte es gewagt, in sich selbst zu verweilen, als er vor ihn getreten war und nach ihm gerufen hatte. Blind vor Zorn vergaß er alle Regeln des Anstands. Seine Füße traten, wie es schien. auf ein Seil auf dem Boden, doch da entdeckte er, dass es eine tote Schlange war. Eine Laune des Schicksals brachte ihn auf eine böse Idee. Er warf sie dem Einsiedler um den Hals, der wie eine Statue dasaß, ohne sich um die Not der anderen zu kümmern; dann verließ er die Einsiedelei und ging schnell fort, um einen anderen Ort zu suchen, an dem er seinen Durst stillen und etwas zu essen bekommen könnte.

Einige Knaben sahen ihn aus der Hütte kommen. Sie gingen hinein, um zu sehen, warum er hineingegangen war und was dort geschehen war, denn er sah wie ein Fremder aus und war prächtig gekleidet. Sie entdeckten eine Schlange um den Hals des Weisen Shamika. Sie gingen näher heran und mussten feststellen, dass sie tot war. Sie fragten sich, wer diese Untat begangen haben könnte und vermuteten, dass es das Werk des Mannes sein musste, der soeben die Einsiedelei verlassen hatte. Sie liefen hinaus und erzählten alles Shringi, dem Sohn von Shamika, der gerade mit seinen Kameraden ein Spiel spielte. Dieser wollte sich die Geschichte nicht anhören, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand seinen Vater beleidigen würde, und spielte weiter. Die Knaben wiederholten die Geschichte und bestanden darauf, dass er sich mit eigenen Augen von der misslichen Lage seines Vaters überzeugte.

Shringi war erstaunt über ihre Beharrlichkeit und fürchtete, dass dies tatsächlich passiert sein könnte. Er rannte in die Hütte und stellte fest, dass das Unglaubliche geschehen war! Er versuchte, den Schuldigen zu finden, der diese Gräueltat an seinem verehrten Vater verübt hatte. Er erfuhr, dass ein Mann in königlichem Gewand in die Hütte eingetreten war und sie wieder verlassen hatte und dass seit dem Morgen sonst niemand in der Nähe gewesen war. Die Knaben schlossen daraus, dass dieser Mann die Tat begangen haben musste. Daraufhin rannte Shringi in die von ihnen angegebene Richtung, um ihn einzuholen. Es dauerte nicht lange, bis er den Mann in den königlichen Kleidern sah, und seine Wut kannte keine Grenzen. Gemessen trat er vor den König, schüttete eine Handvoll Wasser auf ihn und sprach den Fluch aus: „Möge derjenige, der die tote Schlange um den Hals meines Vaters geworfen hat, am siebten Tag von einer Schlange gebissen werden und an diesem Tag an dem Gift sterben.“ Die Knaben um ihn herum flehten ihn an, von dem Fluch abzulassen, aber er sprach den Fluch trotzdem aus. Dann ging er zurück in die Hütte und ließ sich mit vor Zorn brennendem Kopf in einer Ecke auf dem Boden nieder.

„Ach, dass mein Vater diese Schmach erleiden musste, während ich am Leben bin. Ich hätte genauso gut auch tot sein können. Was nützt ein lebender Sohn, wenn er nicht verhindern kann, dass jemand seinen Vater beleidigt?“, verdammte er sich selbst und beklagte sein Schicksal. Seine Gefährten saßen um ihn herum und versuchten, ihn zu beschwichtigen. Sie beschimpften den Missetäter aufs Übelste und versuchten, den untröstlichen Jungen zu trösten.

Währenddessen war der Weise Shamika aus seiner inneren Glückseligkeit erwacht und trat in das Reich des Bewusstseins ein. Seine Augen öffneten sich. Er wand sich die tote Schlange vom Hals und legte sie neben sich. Er sah seinen Sohn weinend in einer Ecke und winkte ihn zu sich, um ihn nach dem Grund seines Kummers zu fragen und erfuhr von ihm die Geschichte von dem Fremden und der toten Schlange. Shamika lächelte und sagte: „Armer Kerl! Er hat es aus Unwissenheit getan, und du enthüllst deine Unwissenheit, indem du darüber weinst. Mir sind Ehre oder Unehre gleich. Das Wissen um den Atman befähigt einen Menschen, selbst auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, und sich weder erhoben zu fühlen, wenn er gelobt wird, noch zu fallen, wenn er getadelt wird. Irgendein Flegel hat diesen dummen Streich gespielt. Da du noch im Knabenalter bist, übertreibst du und machst daraus ein großes Verbrechen. Du erleidest einen Berg von Kummer wegen eines Maulwurfhügels. Steh auf und geh auf den Spielplatz“, sagte er. Er nahm seinen Sohn auf den Schoß und streichelte ihm sanft über den Kopf, damit sein Kummer ein wenig nachlasse.

Shringi sagte zu seinem Vater: „Das ist kein Streich, den ein Flegel gespielt hat. Dies ist ein schreckliches Sakrileg, begangen von einem ego-berauschten Kerl im Gewand eines Königs.“ Daraufhin fragte Shamika: „Was sagst du? Ein Mann im Gewand eines Königs? Habt ihr ihn gesehen? Hat der König diese Tat begangen? So etwas Törichtes kann niemals einem König in den Sinn kommen.“ Die Kameraden von Sringi stimmten ein und bezeugten, dass sie denjenigen gesehen hatten, der für dieses Sakrileg verantwortlich war. „Meister! Wir sahen die tote Schlange, rannten zu Shringi und brachten ihn hierher. Shringi wurde so wütend, dass er das Wasser des Kausika-Flusses in die Hand nahm und es auf den Mann warf, der sehr schnell lief. Gleichzeitig sprach er mit geeigneten rituellen Formeln den folgenden Fluch aus: ‚Derjenige, der die tote Schlange hingelegt hat, soll am siebten Tag an einem Schlangenbiss sterben.‘“

Diese Nachricht entsetzte Shamika. Das Verhalten seines Sohnes befremdete ihn. Er stieß ihn von seinem Schoß auf den Boden. „Was! Hast du einen solchen Fluch ausgesprochen? Wehe, dass der Sohn eines Weisen sich so verhält! Was für ein unheilvoller Fluch für dieses geringfügige Vergehen! Das ist ein Unrecht, das niemals gesühnt werden kann. Du bist eine Schande für deine Kameraden, denn du kannst einen solchen dummen, unbedeutenden Streich nicht mit Fassung tragen. Ich schäme mich, dass ein solcher Junge mein Sohn ist. Du hast nicht die innere Stärke, eine solche kleine Kränkung zu ertragen. Oh, deine Kindereien werden alle Weisen und Asketen in Verruf bringen. Die Leute werden sagen, dass wir nicht das kleinste bisschen Geduld und Stärke besitzen. Zeig mir nicht dein Gesicht; es zu sehen ist eine Schmach. Menschen für begangenes Unrecht zu bestrafen ist die Aufgabe des Königs, nicht die des Einsiedlers im Wald. Der Einsiedler, der Flüche ausspricht, ist kein Einsiedler.

Die Sehnsucht, die Vision und die Gegenwart des Führers und Wächters der Welten zu erlangen, veranlasst den Einsiedler alle Anhaftung aufzugeben. Er lässt sich im Wald nieder und lebt von Früchten und Wurzeln. Er entsagt allem, was den Sinnen dient, da es dem spirituellen Fortschritt abträglich ist. Wenn ein solch schrecklicher Fluch, aus Ungeduld und Egoismus geboren, einem Einsiedler über die Lippen kommt, ist dies ein Zeichen für bevorstehendes Unheil. Es markiert den Anbruch des Eisernen Zeitalters der Unwahrheit“, sagte Shamika.

„Ach, weh! Was für eine große Sünde hast du heute zu deiner Last hinzugefügt“, sagte er zu seinem Sohn. Er beschrieb seinen Kameraden die Abscheulichkeit der Tat, die Shringi begangen hatte.

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Bhagavatha Vahini, Kapitel 24 – Parikshit wird verflucht