Vyasa fuhr fort: „Oh König, deine Großväter waren bereit, Gott alles zu opfern, wenn es sein musste. Sie waren auch bereit, mit Gott zu kämpfen, wenn nötig, denn sie hielten sich nur an das Dharma eines Kshatriya, wenn sie kämpften. Du hast sicher die Geschichte deines Großvaters gehört, der gegen Shiva kämpfte und von ihm die göttliche Waffe Pashupatastra gewann.“ Bei diesen Worten hob der König plötzlich den Kopf und fragte: „Meister! Was habt Ihr gesagt? Hat mein Großvater gegen Shiva gekämpft? Ich habe noch nichts davon gehört. Erzählt mir alles. Befriedigt mein Verlangen, davon zu erfahren.“ Parikshit fiel Vyasa zu Füßen und drängte ihn, die Geschichte zu erzählen.

Vyasa räusperte sich. „Mein Sohn! Wie viele Geschichten muss ich dir erzählen? Um über die Beziehung zwischen den Pandavas und den Göttern ausführlich zu berichten, braucht es nicht Stunden, nicht Monate, sondern Jahre! Doch da du darum bittest, werde ich so viel wie möglich in der verfügbaren Zeit erzählen. Höre, oh König! Die Pandavas lebten im Wald. Eines Tages wurde Dharmaraja von Sorge übermannt. Er hatte das Gefühl, dass die bösen Vettern, die Kauravas, ihn nicht in Frieden lassen würden, selbst wenn die Zeit des Exils vorbei wäre. Es war sehr zweifelhaft, ob sie ihnen ihren Anteil am Reich geben würden. Dharmaraja fürchtete, dass ein Krieg unvermeidlich sein würde und dass die großen Bogenschützen des Zeitalters, Bhishma, Drona, Karna und Ashvatthama, sich dann auf die Seite der Kauravas stellen würden. Er befürchtete, dass die Pandavas nicht in der Lage sein würden, solch mächtige Gegner zu besiegen und er hatte Sorge, dass der Krieg in einer Niederlage enden könnte und die Pandavas ihre Jahre im Dschungel verbringen müssten. Als Arjuna seinen Kummer sah, wandte er sich an ihn und bat um seinen Segen und die Erlaubnis, auszuziehen und durch Askese Waffen zur Vernichtung der Feinde von den Göttern zu erlangen. Dharmaraja hieß ihn zu gehen, die Götter zu erfreuen und durch ihre Gnade Waffen zu erhalten, um den Krieg zu gewinnen.

Arjuna begab sich in die Gegend von Gandhamadana, das selbst für den wagemutigsten Asketen unzugänglich war, und führte Tapas (asketische Übungen) durch, um Indra, den Herrscher der Götter, günstig zu stimmen. Der Himmel war erstaunt über die Strenge seiner Tapas und seine Beharrlichkeit. Und so erschien Indra vor ihm und sagte: ‚Mein Sohn, ich bin erfreut über dein Tapas. Doch wenn dein Wunsch in Erfüllung gehen soll, musst du zuerst Shivas Gnade erlangen. Danach werde ich dich in den Himmel bringen und dich mit allen Waffen ausstatten, die der Himmel zu geben hat.‘

Auf Indras Rat hin meditierte Arjuna über Shiva, um seine Gnade zu gewinnen. In der Zwischenzeit beschloss Shiva, ein eigenes Schauspiel zu veranstalten. Ich will dir sagen, was geschah: Ein riesiger wilder Eber rannte über den Platz, an dem Arjuna seine Bußübungen vollzog. Arjuna sah ihn, und obwohl man während der Übungen kein Lebewesen verletzen durfte, griff er eilig zu Pfeil und Bogen, als der Eber über ihn herfallen wollte. Genau in diesem Moment erschien ein Jäger vom Stamm der Bhil, ebenfalls mit Pfeil und Bogen bewaffnet, mit seiner Frau vor Arjuna! Arjuna war erstaunt, dass eine Frau den Bhil in diesem dichten Wald begleitete, in dem sich kein Mensch sicher bewegen konnte. Doch als er genauer hinsah, entdeckte er hinter dem Bhil eine riesige Schar Männer und Frauen von grimmigem Aussehen, die seltsame Rufe und Schreie ausstießen. Arjuna war erstaunt und verwirrt.

Der Jäger, der zuerst erschienen war, der Jäger mit dem grimmigen Gesicht und den rot glühenden Augen, sprach zu Arjuna: ‚Du da! Wer bist du? Warum bist du an diesen Ort gekommen? Ich warne dich – du wirst nicht überleben, wenn du einen Pfeil auf diesen Eber schießt, und sei es auch nur aus Versehen. Ich habe ihn verfolgt und hierher getrieben. Wer gibt dir das Recht, Pfeil und Bogen gegen ihn zu erheben?‘ Diese Worte, die er sprach, drangen wie Pfeile in Arjunas Herz. Er fühlte sich über die Maßen verletzt, denn ein gewöhnlicher Jäger hatte ihn beleidigt. ‚Der Kerl kennt weder meinen Namen noch meinen Ruf, sonst hätte er mich nicht herausgefordert’, sagte er zu sich selbst.

Er hob seinen Bogen und schoss einen Pfeil auf den Eber. Im selben Moment schoss auch der Bhil einen Pfeil ab. Der Eber fiel tot zu Boden. Der Jäger war außer sich vor Wut und überschüttete Arjuna mit Beschimpfungen. ‚Du da, du kennst die Regeln der Jagd nicht. Wie kannst du es wagen, mit deinem Pfeil auf ihn zu zielen, wenn ich ihn aufgespürt, ihn verfolgt und als Beute für meine Pfeile ausgewählt habe? Du bist ein gieriger Barbar.‘ Seine Augen sprühten Funken, so unbezähmbar war seine Wut. Auch Arjuna war wütend und schrie zurück: ‚Halt den Mund, du Schurke. Sonst werde ich dich in das Reich des Todes schicken. Bezähme deine freche Zunge, wenn du am Leben bleiben willst und geh den Weg zurück, den du gekommen bist.‘

Der Bhil ließ sich von dieser Drohung nicht einschüchtern. ‚Wer auch immer du bist, ich habe keine Angst. Du magst dreihundertdreißig Millionen Götter auf deiner Seite haben, aber ich werde nicht nachgeben. Nimm dich in Acht, du Eindringling. Wer hat dir die Erlaubnis gegeben, hierherzukommen? Wer bist du, dass du mir befehlen könntest zu gehen? Dieser Wald gehört uns. Du bist ein Dieb, der sich eingeschlichen hat, und du besitzt auch noch die Frechheit, uns aufzufordern, zu verschwinden!‘, antwortete er.

Da erkannte Arjuna, dass dies kein gewöhnlicher Jäger war und sprach in einem ruhigeren Ton. ‚Der Wald ist das Eigentum von allen. Du bist gekommen, um zu jagen. Ich bin gekommen, um durch Bußübungen Shiva zu gefallen. Ich habe den Eber nur erlegt, um mich vor seiner Wut zu retten.’ Doch der Jäger ließ sich nicht besänftigen. ‚Es ist mir gleich, wen du anbetest und wem du gefallen willst. Gib zu, dass du Unrecht begangen hast. Warum hast du auf meine Beute geschossen? Gestehe und entschuldige dich, mach es wieder gut‘, beharrte er. Da verlor Arjuna die Geduld. ‚Auch das Leben dieses Mannes wird enden wie das des Ebers‘, sagte er zu sich. ‚Er wird nicht durch sanfte Worte geheilt werden können‘, dachte er.

So wählte er einen scharfen Pfeil aus, legte ihn auf den Bogen und schoss ihn auf den Bhil. Der Pfeil traf ihn zwar, aber wie ein Dorn, der von einem Felsen abprallt, fiel er auf den Boden und wurde durch den Aufprall verbogen! Der erstaunte Arjuna nahm nun einen sichelförmigen Pfeil, der dem Jäger den Kopf abtrennen würde. Doch dieser wurde vom Jäger mit der linken Hand wie ein Grashalm beiseite geschoben.

Schließlich ließ Arjuna einen unaufhörlichen Pfeilregen aus seinem immer vollen Köcher los. Auch das hatte keine Wirkung und Arjuna begann zu verzweifeln wie jemand, der all seines Besitzes und aller Mittel zur Gegenwehr beraubt wurde. Er stand hilflos und wutentbrannt da. Er war wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln, wie ein Tiger, dem man die Zähne gezogen und die Krallen geschnitten hat, wie ein Schiff ohne Segel und Ruder.

Er versuchte, den Jäger mit dem Bogen selbst zu schlagen, doch beim Aufprall zerbrach dieser in Stücke. Erschrocken beschloss Arjuna, seine Fäuste zu benutzen, denn sie waren die einzigen Waffen, die ihm blieben. Er gürtete seine Lenden, stürzte sich auf den Bhil und rang wütend um den schieren Sieg. Der Jäger begrüßte diesen neuen Schachzug mit einem herzhaften Gelächter. Sie kämpften um die Oberhand mit so furchtbaren Griffen und Schlägen, dass es schien, als ob zwei Berge in einem tödlichen Kampf stünden. Die Vögel des Waldes erschraken über den ungewohnten Lärm so sehr, dass sie vor Schreck weit in den Himmel flogen. Die Tiere des Urwalds starrten wie gebannt, als ob ein großes Unheil ihnen drohe. Die Erde bebte, unfähig, die Last des Kampfes zu tragen.

Trotz allem zeigte der Bhil keine Spur von Erschöpfung. Er lachte völlig unbekümmert und war noch genauso frisch wie zu Beginn des Kampfes. Arjuna hingegen war schweißgebadet. Er rang nach Atem und seine Faust war verletzt und blutete! Der Bhil war unversehrt und nicht im Geringsten beeinträchtigt! Aber als der Bhil Arjuna einmal in einem leichten Griff drückte, spuckte Arjuna Blut. Daraufhin brach der Bhil in ein grausames Lachen aus und rief vor seiner Gefährtin mit einem vielsagenden Blick frohlockend aus: ‚Hast du das bemerkt?‘

Arjuna taumelte zutiefst verwirrt. Er verlor den Boden unter den Füßen und murmelte vor sich hin: ‚Krishna! Warum hast Du mich so gedemütigt? Ah, ist auch dies eine Szene in Deinem Schauspiel? Wahrlich, dieser Bhil ist kein gewöhnlicher Sterblicher. Vielleicht bist Du selbst in dieser Form gekommen, um meinen Stolz mit Füßen zu treten. Wehe mir! Von einem Jäger des Waldes überwältigt zu werden! Nein, das ist deine List, dein Spiel. Dieser Bhil ist kein gewöhnlicher Kerl. Rette mich, denn ich glaube, du bist es selbst.‘

Als er sich bei diesen Worten zu dem vor ihm stehenden Paar umdrehte, sah er dort nicht den Bhil und seine Frau, sondern Shiva und seine Gefährtin Gauri. Sie segneten ihn mit einem bezaubernden Lächeln, ihre Hände waren mit den Handflächen zu ihm in der Abhaya-Geste erhoben, um ihm zu versichern, dass er keinen Grund zur Furcht habe.

Arjuna war überwältigt vor Freude. Er lief auf die beiden zu und rief: ‚Oh Shankara, Mutter Gauri!‘ und fiel ihnen zu Füßen. Er bat sie, ihm seine Unbesonnenheit und Unwissenheit zu verzeihen. Gauri und Shankara, die Verkörperungen der Gnade, zogen ihn liebevoll an den Schultern hoch und streichelten ihm voll Zuneigung über den Kopf. ‚Sohn‘, sagten sie, ‚du hast die Erfüllung deines Lebens erreicht. Du hast deine Pflicht getan, wie es sich gehört. Das ist ganz und gar kein Fehler. Nun nimm dies hier als Zeichen unserer Gnade‘ – und er erhielt aus der Hand von Shiva selbst die göttliche Waffe Pashupatastra.

Oh Maharaja! Ich kann die Tapferkeit deines Großvaters nicht genug preisen, dermit dem unbesiegbaren Dreizack bewaffneten Shiva kämpfte. Die Quelle dieses Mutes und dieser Kühnheit lag in der Gnade, die Sri Krishna ihm schenkte. Eure Großväter kamen nie auf den Gedanken, auch nur das Geringste ohne seinen ausdrücklichen Befehl zu tun. In der Mahabharata-Schlacht wurde seine Gnade tatsächlich unaufgefordert und in jedem Augenblick in reichlichem Maße gewährt. Wie tief die Liebe war, die diese Gnade hervorbrachte, war nur ihnen bekannt, andere können sie nicht ermessen.“ Als Vyasa sich daran erinnerte, vergoss er Freudentränen über das Glück der Pandava-Brüder, und nicht nur er.

Der Zuhörer, Parikshit, war tief gerührt vor Bewunderung und Dankbarkeit. Er vergoss Tränen der Freude und seine Lippen bebten vor Rührung. Vor Aufregung versagte ihm die Stimme. Er konnte sich nicht länger beherrschen und rief aus: „Ah, wie glücklich bin ich doch, dass ich in dieses Geschlecht geboren bin! Wie tapfer, wie hingebungsvoll, wie furchtlos waren meine Vorväter! Und was für ein Glück, dass ich ihren Ruhm aus dem Munde eines göttlichen Weisen wie Euch hören darf! Oh, ich bin in der Tat dreifach gesegnet. Wenn ich den Taten meiner Großväter und dem Ruhm von Sri Krishna lausche, kann ich nie genug davon bekommen. Ich sehne mich danach, mehr zu hören. Bitte erzählt mir, wie der Herr meine Großväter in der Schlacht beschützt und gerettet hat. Es wird meinen Hunger ein wenig stillen und meinen Durst löschen.“

Bhagavatha Vahini, Kapitel 22, Arjunas Kampf mit den Göttern