Es war ein bemitleidenswerter Anblick. Parikshit, der Knabe mit der Krone auf dem Kopf, näherte sich klagend seinem Großvater und den anderen, umklammerte ihre Füße und bat darum, dass auch er sie in den Wald begleiten dürfe. Er würde gerne Wurzeln und Früchte essen, an heiligen Zeremonien teilnehmen und glücklich sein. „Bitte vertraut das Königreich einem tugendhaften Minister an und erlaubt mir, mit euch zu kommen, damit ich euch dienen kann und mein Leben einen Sinn hat”, bat er. Sein Schmerz, zurückgelassen zu werden, rührte die Anwesenden im Saal zu Tränen. Selbst Felsen wären vor Mitleid geschmolzen, wenn sie seine Qualen gehört hätten.
Dharmaraja gelang es heldenhaft, seine Gefühle zu unterdrücken. Er hob den Jungen hoch, setzte ihn sich auf den Schoß und flüsterte ihm Trost und Mut ins Ohr. „Liebes Kind! Du darfst nicht schwach werden. Du bist ein Kind, das in der Dynastie von Bharata geboren wurde. Kann ein Schaf in einer Dynastie von Löwen geboren werden? Dein Vater, deine Mutter und deine Großväter sind voller Mut und als kühne Verfechter der Wahrheit auf der Welt berühmt geworden. Es ist also nicht angebracht, dass du weinst. Von nun an sind diese Brahmanen deine Großväter, deine Eltern. Nimm ihren Rat an und regiere dieses Land entsprechend. Werde der Größe und dem Ruhm deines Namens gerecht. Höre auf, um uns zu trauern.“
Doch der Junge war trotz aller Versuche der Ältesten, ihn zu überreden, liebevoll unnachgiebig. Er beklagte sich: „Großvater! Ich bin zu jung, um dich mit meinem Flehen zu überzeugen. Ich weiß es. Aber hör zu, ich habe meinen Vater verloren, noch bevor ich geboren wurde. Du hast mich mit der Fürsorge und Zuneigung aufgezogen, die mein Vater mir entgegengebracht hätte, wenn er noch gelebt hätte. Und jetzt, wo ich so gerne singe und spiele und mit meinen Gefährten umherziehe, bürdest du mir dieses große Reich auf. Kann das richtig sein? Ist das gerecht? Anstatt mich in meinem Kummer allein zu lassen, solltest du erst gehen, nachdem du mir mit deinem Schwert den Kopf abgeschlagen hast. Ach, weh! Welchen Schaden habe ich dir zugefügt, dass du mich so bestrafst? Hättest du mich nicht schon im Mutterleib, am Tag, als mein Vater starb, auslöschen können? Wurde mein lebloser Körper wieder zum Leben erweckt, damit du mir diese Aufgabe auferlegen kannst?“ Parikshit verdammte sich auf diese Weise noch lange für sein Schicksal.
Arjuna konnte es nicht länger ertragen. Er hielt dem Jungen den Mund mit der Hand zu. Er liebkoste das Kind mit süßer Zuneigung und drückte ihm seine Lippen auf den Kopf. „Kind! Es ist eine Schande für die Kaste der Kshatriya, wenn du dich wie ein Feigling benimmst. Auch wir haben unseren Vater verloren, auch wir sind unter der fürsorglichen Obhut von Asketen und Mönchen aufgewachsen. Schließlich gelang es uns, die Zuneigung unseres Onkels zu gewinnen, und nachdem wir so manches gewaltige Hindernis überwunden hatten, erlangten wir die Herrschaft über dieses Königreich. Derjenige, der uns beschützt, uns geführt und unsere Schritte gelenkt hat, wird sicherlich auch dein Beschützer und Führer sein. Verliere nicht den Mut und folge einige Jahre lang den Ratschlägen, die diese Brahmanen und Minister geben. Später wirst du in der Lage sein, die Probleme des Reiches selbst zu lösen“, sagte er.
Parikshit ließ sich nicht beruhigen. Er sagte: „Großvater! Werft ihr jetzt den Thron und das Königreich weg und bürdet sie mir auf? Bleibt wenigstens noch einige Jahre bei mir, lehrt mich die Kunst des Regierens und die Prinzipien, und dann könnt ihr gehen. Ich war glücklich und frei und streifte umher, ohne eine Spur von Sorge, denn ich war sicher, dass ich Großväter hätte, die mich beschützen, obwohl ich meinen Vater verloren hatte. Wenn ihr mich nun auch verlasst, was wird dann mein Schicksal sein? Ihr wart der Mittelpunkt all meiner Hoffnungen, die Stütze, auf die ich mich verließ, und nun stürzt ihr mich plötzlich in die Verzweiflung und lasst mich im Stich.“ Er weinte so laut, dass es allen, die ihn sahen und hörten, das Herz zerriss. Er wälzte sich auf dem Boden und hielt die Füße der Ältesten fest.
Arjuna hob ihn mit beiden Händen hoch und umarmte ihn. Er hielt seine Schultern fest und streichelte ihn. Die Tränen, die ihm über die Wangen liefen, wischte er weg. Dabei konnte er seine eigenen Tränen nicht zurückhalten. Arjuna wandte sich an die Brahmanen, die um ihn herumstanden und all dies beobachteten, und fragte sie, warum sie nur stumme Zeugen seien und nicht versuchten, den Jungen zu trösten.
Sie waren selbst zu sehr von Trauer erfüllt, um in der Lage zu sein, den Kummer von Parikshit zu lindern. Sie sagten: „Die scharfen Worte dieses Kindes, verletzen uns wie Pfeile; seine Qualen lassen uns erstarren. Was können wir ihm sagen? Wie können wir ihn trösten? Was kann ihm jetzt noch Mut machen?“ Auch sie waren von ihrem Kummer überwältigt.
Kripacarya, dem Guru (Lehrer) der Familie, gelang es schließlich, seinen Kummer zu unterdrücken. Er wischte sich mit den Enden seines Gewandes die Tränen aus den Augen und sprach zu Arjuna: „Was sollen wir dem Jungen sagen? Uns ist nicht danach, etwas zu sagen. Wir sind fassungslos. Du verzichtest heute auf das Reich, das du nach einem Sieg errungen hast, für den Ströme von Blut geflossen sind, für den Millionen ihr Leben gelassen haben, für den du jahrelang gekämpft hast. Ihr habt keine tausend Jahre lang regiert, nein, nicht einmal ein paar Jahrhunderte, nicht einmal siebzig Jahre lang. Wer kann schon sagen, was im Schoß der Zeit liegt? Natürlich haben die Handlungen des großen Willens einen tieferen Sinn. Verzeiht uns, ihr seid unsere Oberherren, ihr wisst es am besten.“ Kripacarya stand mit gesenktem Kopf, denn er war schwer von Kummer.
Dharmaraja trat ein paar Schritte vor und wandte sich an den Guru: „Wie du weißt, entsprach jede meiner Handlungen dem Befehl Krishnas. Ich habe all mein Tun ihm gewidmet. Ich spielte meine Rolle so, wie er sie mir vorgab. Ich habe nichts eigenes gewünscht oder durchgesetzt. Alle meine Aufgaben und Verpflichtungen sind mit dem Weggang des Herrn erloschen. Was nützt jetzt das Überleben von Dharmaraja allein? Ich kann nicht einmal für eine Minute in diesem Land bleiben, da Kali die Herrschaft übernommen hat. Es ist nun deine Aufgabe, diesen Jungen zu beschützen, ihn zu führen und auszubilden, damit er sicher auf dem Thron sitzen kann. Bewahre die Treue zum Dharma, führe die dynastischen Traditionen fort, erhalte die Ehre und den guten Namen der Linie. Liebe ihn und fördere ihn wie deinen eigenen Sohn.“ Mit diesen Worten legte er die Hände von Parikshit in die Hände von Kripacarya. Alle Anwesenden, einschließlich Dharmaraja und der Acarya, hatten in diesem Moment Tränen in den Augen.
Nach einigen Minuten wurde Vajra herbeigerufen. Ihm wurde mitgeteilt, dass Parikshit von diesem Tag an der Kaiser von Bharat sei. Also huldigte Vajra ihm, wie es sich für den Herrscher des Kontinents gehörte. Auch die Minister und die Brahmanen ehrten ihn als ihren Herrscher mit den gebotenen Zeremonien. Danach ergriff Dharmaraja die Hände von Parikshit, legte die Hand von Vajra darauf und verkündete: „Dies ist Vajra, der Herr der Yadavas. Ich setze ihn nun als König von Mathura und des Staates Shurasena ein.“ Er setzte Vajra eine mit Diamanten besetzte goldene Krone auf den Kopf. „Seid Brüder, ihr beide, treue Verbündete im Frieden und im Krieg, unzertrennlich in Freundschaft“, forderte er sie auf. Er nahm Vajra zur Seite und riet ihm, Parikshit wie seinen eigenen väterlichen Onkel zu behandeln. Er riet Parikshit, Vajra zu verehren, wie er selbst Aniruddha, seinen Vater, verehren würde. Er sagte beiden, sie sollten für den ungestörten Fortbestand des Dharma sorgen und das Wohlergehen ihrer Untertanen als ihren Lebensatem betrachten.
Dann streuten die Pandava-Brüder gesegnete Reiskörner über die Köpfe von Vajra und Parikshit. Die Brahmanen-Priester rezitierten die entsprechenden Mantras. Trompeten ertönten und Trommeln wurden geschlagen. Mit Tränen in den Augen warfen sich Vajra und Parikshit vor Dharmaraja und den anderen nieder. Die Pandava-Brüder konnten den beiden geliebten Knaben nicht ins Gesicht schauen, so sehr waren sie von der Entrücktheit überwältigt. Sie umarmten sie kurz und sprachen nur ein Wort des liebevollen Abschieds, bevor sie sich auf den Weg machten, mit nichts, außer den Kleidern, die sie trugen.
Daraufhin stießen die Verwandten, die Bürger, die Königinnen und die anderen in den Frauengemächern, die Höflinge und die Dienerinnen jämmerliche Klageschreie aus. Die Bürger warfen sich dem Herrscher in den Weg und versuchten, sich an seinen Füßen festzuhalten. Sie baten kläglich, dass er bleiben möge. Sie appellierten an ihn, auch sie mitzunehmen. Einige setzten sich über die Einwände hinweg und liefen mit der königlichen Gruppe mit. Die Pandavas aber kehrten nicht um, sie sprachen kein Wort. Ihre Ohren waren für Bitten und Flehen verschlossen und ihre Gedanken waren auf Krishna gerichtet. So gingen sie geradeaus weiter, wie Männer, die von einem fanatischen Entschluss geblendet waren, die nichts beachteten und auf nichts achteten.
Draupadi lief mit ihren Dienerinnen hinter ihnen her und rief ihre Gatten einzeln mit Namen . Auch Parikshit verfolgte sie durch die Straßen, wurde aber von den Ministern eingeholt und weggetragen. Obwohl sie selbst sehr betroffen waren, versuchten sie, ihn zu beschwichtigen. Doch die Pandavas gingen unbekümmert weiter und baten weder diejenigen, die ihnen folgten, anzuhalten, noch erlaubten sie denen, die sich ihnen anschließen wollten, mitzukommen. Hunderte von Männern und Frauen mussten zurückbleiben, als sie zu müde waren, und kehrten traurig in die Hauptstadt zurück. Andere, die ausdauernder waren, gingen weiter. Die Frauen der Zenana, die Sonne und Wind nicht gewohnt waren, waren schnell erschöpft und fielen auf der Straße in Ohnmacht. Dienerinnen, die die schrecklichen Ereignisse beklagten, kümmerten sich um sie. Einige wagten sich sogar in den Wald, mussten aber schnell wieder zurückkehren, nachdem sie die Schrecken der Wildnis erlebt hatten. Als Staubstürme aufkamen, rieben sich viele Bürger den Staub ehrfürchtig auf die Stirn, da sie ihn für den Staub der Füße von Dharmaraja hielten. Auf dem Weg durch Buschwerk und Dornengestrüpp gerieten die Brüder bald außer Sichtweite. Was konnten die Menschen nun tun? Ihnen blieb nur, nach Hastinapur zurückzukehren, schwer von unerträglichem Schmerz.
Die Pandavas hielten sich an das Gelübde von Mahaprasthanam, der letzten Reise. Dieses Gelübde verlangte, dass sie auf dem Weg nichts essen oder trinken durften, sie durften nicht rasten, sie mussten geradeaus weitergehen, in nördlicher Richtung, bis sie tot umfielen. Dies ist das Gelübde, das sie einhielten, streng und unerbittlich.
Quelle: Sanathana Sarathi January 2022
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